Maerchenhaft


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            Buch Maerchenhaft

Die Goldene Prinzessin  von Ulrike Nolte

Es war einmal ein König, der hatte eine einzige Tochter. Man nannte sie nur die goldene Prinzessin, denn ihre blonden Locken strahlten und schimmerten wie gesponnenes Metall. Wenn sie nachts auf den Zinnen der Königsburg stand und über die Stadt hinwegschaute, dann erleuchtete der Schein ihres Haares alle Fenster, als wäre die Sonne aufgegangen. Schon viele Freier hatten um ihre Hand angehalten, doch die Prinzessin hatte ihr Herz an keinen verschenkt.

An der Grenze des Landes lag das Gebirge, wo die Riesen wohnten. Sie hausten in Höhlen, die sie tief in den Fels getrieben hatten. Das waren jedoch keine einfachen Erdlöcher, wie bei ihren wilden Vorfahren. Selbst Riesen entwickeln sich weiter, wenn auch etwas langsamer als die Menschen, weil ihre Gehirne so groß sind und die Gedanken länger brauchen, um von einem Ende zum anderen zu gelangen. So besaß die Herrin der Riesen ein ganzes Labyrinth von unterirdischen Sälen, auf deren Pracht sie sehr stolz war. In die Felswände waren grob geschliffene Edelsteine eingelassen, bizarre Tropfsteinsäulen trugen die Hallendecken, Tierfelle und Pelze bedeckten die Fußböden. Im Thronsaal standen Dutzende von Langtischen, aus ganzen Baumstämmen zusammengefügt, an denen das Gefolge der Riesenherrin seine fröhlichen Gelage feierte. In der Mitte der Halle hing ein Kronleuchter aus gewaltigen Hirschgeweihen. Er war mit Talglichtern besetzt, so dass der Saal in ein dämmriges, flackerndes Licht gehüllt wurde.

Als die Riesenherrin eines Nachts aus ihrer Höhle trat und ins Tal blickte, da sah sie in der Ferne einen goldenen Glanz, der das Land mit einem Schimmer bedeckte, als wäre die Morgensonne über diesem Fleckchen Erde aufgegangen. „Was für ein wundersames Licht ist das?“, fragte sie sich. „Wenn ich ein solches Licht für meinen Thronsaal hätte, dann wäre er gleich doppelt so schön. Wie würden die Edelsteine funkeln!“ Sie rief ihre zahme Elster herbei, die meist auf ihrer Schulter saß und an Größe einem Vogel Greif glich. „Du liebst jedes Kleinod, das glitzert und strahlt“, sagte die Riesenherrin zu ihr. „Bring mir dieses Licht, und du sollst eine ganze Schüssel voller schmackhafter Felswürmer bekommen.“ Mit eifrigem Krächzen erhob sich die Elster und flog pfeilschnell ins Tal hinab.

Dort stand die Prinzessin auf den Zinnen der Burg, und ihr Haar hüllte die Stadt in ein goldenes Leuchten. Doch plötzlich senkte sich ein gewaltiger Schatten über die Häuser, und Vogelklauen ergriffen die Prinzessin. So überraschend kam der Überfall, dass sie nicht um Hilfe rief, bis sie bereits hoch im nächtlichen Himmel schwebte.

Weit hinein ins Gebirge flogen sie, über dunkle Wälder und schroffe Schluchten hinweg. Dann plötzlich öffnete der Vogel seine Klauen, und die Prinzessin fiel in ein Paar aufgehaltene Hände. „Was für ein hübsches Ding“, dröhnte eine Frauenstimme, und ein Gesicht senkte sich auf sie herab, in dem jede Pore wie ein Krater aussah. Stolz trug die Riesenherrin ihre Gefangene in den Thronsaal und setzte sie auf den Kronleuchter zwischen die Talgkerzen.

Dort hockte sie nun, die arme Prinzessin, und ihr Haar erleuchtete den Raum bis zum letzten Winkel. Der warme Schein ließ die Edelsteine in den Wänden strahlen und das Wasser in den Trinkhörnern wie goldenen Wein funkeln.

Ihr Gefängnis hatte weder Gitterstäbe noch eiserne Ketten, doch wie hätte sie fliehen können? Sie befand sich wohl fünfzehn Meter hoch in der Luft. Das Mädchen kauerte sich in die Geweihschaufel eines Riesenhirsches, verbarg das Gesicht in den Händen und weinte bitterlich.

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Als der König entdeckte, dass seine Tochter über Nacht verschwunden war, wurde er ganz krank vor Sorge. Er raufte sich das Haar, weigerte sich zu essen und warf seinem Leibkoch die Suppenschüssel an den Kopf. Seine Soldaten durchkämmten jeden Winkel des Landes, um das Mädchen zu finden. Alle Untertanen suchten nach der Prinzessin, alle Hofhunde schnüffelten nach ihrer Fährte, doch man entdeckte keine Spur von der Entschwundenen. Da ließ der König bis weit in die Nachbarlande verbreiten: „Wer mir meine Tochter wiederbringt, der soll ihre Hand als Belohnung erhalten und das halbe Königreich dazu!“ Viele Freier, Ritter und Prinzen versuchten ihr Glück, aber niemand fand die Entführte und gar mancher kehrte von seiner Suche nicht zurück. Es wurde Herbst, es wurde Winter, und die Prinzessin blieb noch immer verschwunden.

An der Grenze des Königreiches lebte ein alter Jäger, der hatte drei Kinder. Seine beiden Söhne führten ein wildes, ungebundenes Leben, streiften tagelang durchs Gebirge und brachten reiche Beute an Fleisch und Pelzen heim. Seine Tochter besorgte das Haus und machte es ihrem Vater so bequem als möglich. Er vergalt ihre Sorgfalt mit harten Worten, denn das Alter verbitterte ihn, und er vertrug es nicht, schwach und untätig im Haus zu sitzen.

Eines Tages trat sein ältester Sohn vor ihn und sagte: „Sechs Monate ist die goldene Prinzessin schon fort, und niemand hat sie finden können. Ich bin der beste Jäger und Spurenleser weit und breit, und ich meine wohl, dass ich ebenso viel wert bin wie all die feinen Herren, die sich um ihre Hand beworben haben. Ich will hinausziehen und nicht wiederkommen, bis die Prinzessin mein ist.“ Da wurde dem Vater das Herz schwer, doch er sagte nichts und ließ ihn gehen.

Der junge Mann nahm seine Schneeschuhe und machte sich voll Selbstvertrauen auf ins Gebirge, denn er ahnte wohl, dass die Riesen ihre Hand im Spiel hatten. Nach drei Tagen traf er auf ein einsames Häuschen, aus dessen Schornstein dicker Rauch quoll. Er war erstaunt, so weit oben in den Bergen noch eine Behausung zu finden. Der Schnee lag hoch und bedeckte die halbe Tür, so dass sie sich von Innen gewiss nicht mehr öffnen ließ. Kaum hatte der Jäger das gedacht, da klappte eine Fensterluke in dem windschiefen Dach auf, und eine uralte Frau schaute heraus. Mit zittriger Stimme sagte sie: „Mein Sohn, willst du mir eine Liebe tun und den Schnee vor meiner Tür wegfegen, dass ich hinaus kann? Es soll nicht ungelohnt bleiben.“ Sie warf ihm einen Besen aus Reisig herunter.

Doch der Jäger lachte nur und sagte: „Soll ich Frauenarbeit tun? Ein Besen ist kein Handwerkszeug für einen, der mit der Flinte umzugehen weiß. Deine Belohnung wird was Rechtes sein, wo dir die Armut schon aus den dürren Knochen schaut.“ Er wandte sich ab und folgte weiter dem Weg ins Gebirge. Der Pfad war hier deutlich zu erkennen, stieg kurvig in die Höhe, bis er auf dem Grat eines Berges endete.

Doch kaum war der junge Mann dort oben angekommen, als plötzlich ein zauberischer Sturmwind losbrach. Eine Böe packte den Jäger beim Genick und warf ihn von seinem hohen Stand hinab in die Schlucht am Fuße des Berges. Schon fühlte er sein letztes Stündchen gekommen, während er wohl eine halbe Ewigkeit in die grausige Tiefe stürzte. Erst kurz über dem Boden riss der Sturm ihn in einen fröhlichen Wirbel, so dass der Jäger den Aufprall lebend - wenn auch schwindelig und mit schmerzenden Knochen - überstand.

Er rappelte sich hoch und hielt Ausschau nach einem Weg, der ihn hinaus führen konnte. Doch so weit er auch auf seinen müden Beinen wanderte, die Wände ragten zu allen Seiten schroff und abweisend in die Höhe, so dass nicht einmal eine Bergziege sie hätte erklettern können. Endlich fand der Jäger am Ende der Schlucht ein windschiefes Haus, das der Wohnung der alten Zauberin nicht unähnlich sah. Er klopfte an die Tür, und ein Mann öffnete ihm. Er trug ein zerrissenes Gewand aus purpurfarbenem Samt, auf das goldene Kronen gestickt waren. „Komm nur herein“, sagte er mit einem blassen Lächeln. „Wolltest wohl auch die Prinzessin gewinnen und bist nun hier gelandet. Wir haben Feuerholz und Kost genug für alle, nur an Schlafplätzen mangelt es. Wirst zusehen müssen, dass du noch ein leeres Fleckchen auf dem Fußboden findest.“ Erstaunt trat der Jäger durch die Tür. Da sah er, dass das Haus angefüllt war mit glücklosen Freiern, mit Rittern, Prinzen und Abenteurern. Was blieb ihm übrig, als sich in sein Schicksal zu ergeben? Er setzte sich zwischen die anderen auf seinen ausgebreiteten Mantel, legte den Kopf in die Arme und beklagte still sein Missgeschick.

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Als der Älteste nach Wochen nicht zurückgekehrt war, da ging der jüngere Sohn zum Vater und sagte: „Mein Bruder hat mit seiner Suche kein Glück gehabt, ich will an seiner Stelle die Hand der Prinzessin erlangen.“ Dem Vater wurde das Herz schwer, weil er nun auch seinen zweiten Sohn verlieren sollte, doch er sagte nichts und ließ ihn gehen.

Nach einigen Tagen kam der junge Mann zum Haus der Zauberin. Die alte Frau lehnte sich aus dem Fenster und rief ihm zu: “Willst du mir eine Liebe tun und den Schnee vor meiner Tür wegfegen, dass ich hinaus kann? Es soll nicht ungelohnt bleiben.“ Und sie warf ihm den Besen aus Reisig herunter.

Der Jäger aber dachte bei sich: „Ich weiß wohl, wie es bei Abenteuern zugeht, die eine Prinzessin zum Preis haben. Nur wer hilfsbereit und guten Herzens ist, gelangt an das erwünschte Ziel. Es soll mir leicht fallen, diese Prüfung zu bestehen.“ So nahm der junge Mann den Besen und begann zu fegen.

Bald schon hatte er die Haustür freigelegt. Die alte Zauberin trat heraus und nickte ihm zu. „Ich danke dir, mein Sohn. Nun sollst du deine Belohnung erhalten. Dreh dich um und fege noch einmal.“ Der Jäger tat wie geheißen, da blies jeder Besenstrich den Schnee auf viele Meter fort und öffnete einen Seitenweg ins Gebirge, der vorher ganz verborgen gewesen war. „Was du in der Hand hältst, ist ein verzauberter Schneebesen“, sprach die Alte. „Ich will ihn dir schenken, und er wird dir den Weg zur Prinzessin weisen.“

Der Jäger bedankte sich aufs Höflichste und setzte seine Reise fort. Er fegte fleißig, und der Besen blies ihm eine freie Bahn durch den Schnee, mal geradeaus, mal gewunden, mal die Berge hinauf, mal die Berge hinunter. Endlich stand der junge Mann vor einer Felswand, die so steil und glatt war, dass er unmöglich hinaufkommen konnte. Der Besenpfad aber führte direkt in die Höhe. Da sagte der Jäger verärgert zu sich: „Was nützt es mir, den richtigen Weg zu kennen, wenn ich ihn nicht gehen kann? Ich glaube fast, die alte Hexe hat mich betrogen.“

In finsteren Gedanken setzt sich der Jäger unter eine Tanne, lehnte sich an den Stamm und grübelte, wie er auf anderem Wege zur Prinzessin gelangen könne. Da sah er plötzlich weit oben ein Tier, das sich so leicht durch die Felswand bewegte, als würde es über eine flache Ebene laufen. Wo selbst die Hufe einer Gämse keinen Tritt gefunden hätten, setzte es die Füße sicher auf, und war im Nu so nah heran gekommen, dass der Jäger voll Staunen ein Bergeinhorn in ihm erkannte. So selten war dieses Tier, dass er es für eine Mär gehalten hatte, von der man sich nur in der Schenke nach fünf Krügen Starkbier erzählte. Begehrlich blickte der Mann auf das prächtige Geschöpf und sagte zu sich: „Wenn ich es einfangen und zureiten kann, wird es mich die Felswand hinauftragen.“

Er wand sein Kletterseil von der Schulter, knüpfte es zu einer Schlinge zusammen und stellte sich bewegungslos hinter den Stamm einer Tanne. Als das Einhorn nah genug herangekommen war, warf er zielgenau die Schlinge aus. Sie legte sich dem Tier um den Hals, und es war gefangen. Zwar bäumte es sich auf und schlug mit den Hufen, doch das nütze ihm wenig. Der Jäger hatte sich schon auf seinen Rücken geschwungen, ihm die Fersen in die Seiten gebohrt und die Schlinge so weit angezogen, dass er dem Einhorn fast die Luft abschnürte. Es wieherte klagend, und ein Klang wie von zerbrochenen Glocken hallte von den Felswänden wider.

Der Jäger lachte: „Bist zwar nur eine Stute, aber doch ein rechter Wildfang! Wirst dich schon ergeben müssen, wenn es dich nicht reuen soll. Ich bin es gewohnt, mir solche zuzureiten, die sich meinem Willen nicht fügen wollen.“ Als habe die Einhornstute seine Worte verstanden, blieb sie zitternd und mit hängendem Kopf stehen. Der Jäger trieb sie mit einem leichten Stoß seiner Hacken an, lenkte sie erst zur einen, dann zur anderen Seite, und das Einhorn folgte gehorsam dem Zug des Seils. „Gut, gut“, sagte er und klopfte dem Tier die Flanke. „Ich sehe, du bist klug und hast gelernt, wer dein Herr ist.“

Er sammelte seinen Besen ein, der nun doch von Nutzen schien, und lenkte die Stute direkt auf die senkrechte Wand zu. Sie begann ohne Umstände zu klettern, als sei dieser Weg der Natürlichste der Welt. Der Jäger sah den Erdboden immer weiter unter sich verschwinden, und ihn überkam ein heftiger Schwindel, doch er kämpfte die Furcht nieder und legte seine Schenkel nur fester um den Leib des Tieres. Endlich war das Einhorn oben angekommen, und der Jäger befand sich nun auf einem schmalen Felsgrad, mit einem Abgrund zu jeder Seite. Vor ihm breitete sich die schneebedeckte Bergwelt aus bis an den fernen Horizont.

„Zu gerne würde ich auch den Rest des Weges reiten, statt mir die Füße wund zu laufen“, dachte der Jäger. „Doch ich muss mir den Weg frei fegen, um zu wissen, in welcher Richtung die Prinzessin zu finden ist. Ob ich mit dem Besen den Erdboden erreichen kann, ohne abzusteigen?“ Er lehnte sich hinunter, um es zu versuchen. Kaum hatte er auf diese Weise seinen Sitz gelockert, als das Einhorn einen Sprung zur Seite tat und sich mit einem triumphierenden Wiehern aufbäumte. Der Jäger verlor seinen Halt und glitt vom Rücken des Tieres. Die Schlucht zu seiner Linken tat sich auf wie ein tiefer, schwarzer Schlund. Mit einem Fluch klammerte er sich an dem Seil fest, doch zu seinem staunenden Entsetzen sah er, wie sich der Knoten der Schlinge öffnete, als würden unsichtbare Hände daran arbeiten. Das Seil löste sich, und er stürzte in die grausige Tiefe. Kurz vor dem Aufprall nahm die Todesfurcht ihm das Bewusstsein, und so merkte er nicht, wie ein Sturmwind ihn auffing, durch die Schlucht wirbelte und vor der Tür einer windschiefen Hütte fallen ließ.

Als der Jäger mit schmerzenden Gliedern aufwachte, lag er vor einem Kaminfeuer und sein Bruder war dabei, ihm die schneefeuchte Kleidung auszuziehen. „So hast auch du den Weg hierher gefunden“, sagte der Ältere mit freundlichem Spott. „Bist auf deinem Weg gestürzt wie wir anderen. Mich fürchtet, du wirst viel Zeit haben zu erzählen, wie das zugegangen ist.“

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Als der zweite Bruder ebenfalls nicht zurückkehrte, da trat schließlich die Jüngste vor ihren Vater und sagte: „Meinen Brüdern ist ein Unglück widerfahren, ich will aufbrechen und sie suchen. Vielleicht ist mir das Schicksal hold, und ich kann zugleich die Prinzessin finden, wo immer sie sein mag.“

Ihr Vater aber fuhr zornig auf und sagte: „Du hochmütiges Ding, glaubst du erreichen zu können, was deinen Brüdern nicht gelungen ist? Das Gebirge wird dich töten, so wie es mir meine Söhne genommen hat. Soll ich meine alten Tage allein beschließen, ohne Frau, die mir das Haus versorgt? Und was willst du wohl mit einer Prinzessin anfangen, sie heiraten und das halbe Königreich regieren? Schlag dir die Flausen aus dem Kopf, ich werde dich nimmermehr ziehen lassen.“

Das Mädchen gab keine Widerworte, senkte das Haupt und verließ still das Zimmer. Doch als die Nacht gekommen war, schnürte sie sich ein Bündel zusammen, nahm ihre Schneeschuhe und stahl sich aus dem Haus ...


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